Uff, endlich kann ich hier schreiben, hier ist so einiges passiert:
Wir waren letzte Woche auf dem Rückweg von Viña und sind nach Rancagua gefahren. Als wir in Santiago den Bus gewechselt haben, hat dieser an einer Ampel 5 Minuten gehalten und unser Pilotkoffer wurde unten aus dem Bus rausgeklaut. Da war der Laptop, die externe Festplatte mit alles Daten und alle unsere Ladegeräte drin. Der Dieb ist einfach damit weggerannt, aber der Busfahrer hat angeblich nichts davon mitbekommen. Und uns hat er auch erst nach weiteren 3 Minuten bescheid gesagt. Wir haben sofort die Polizei angehalten. Die hat augenblicklich Verstärkung angefordert und es kamen sofort 5 Motorräder und 3 weitere Streifenwagen und sind das Gebiet abgefahren. Leider wars schon zu spät. Wir haben den Busfahrer im Verdacht. Naja, wir haben gleich Anzeige erstattet bei der Polizei und sind zum Busunternehmen gegangen, um zu reklamieren. Da wurde uns aber gesagt, dass wir keine Chance haben, igendwas erstattet zu bekommen. Irgendwelche Ausreden werden immer erfunden, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Das selbe ist uns auch passiert, als wir bei der Verbraucherzentrale von hier uns beschwert haben und gefragt haben, was wir machen sollen. Ausserdem waren wir bei einer "Verteidiger-Schule", um das ganze von der rechtlichen Seite uns erklären zu lassen, aber da wurden wir auch weg geschickt. Beim Transportministerium haben wir den Fall auch eingereicht und der wird nach Santiago weitergeleitet. Uns persönlich bringt das aber gar nichts. Wir sind ziemlich am Ende wegen dem Verlust, da stecke ja so gut wie unser ganzes Leben drin. Die ganzen Fotos, die Erinnerungen, unwiderbringlich verschwunden. Und weil keiner, ausser einem Taxifahrer, der durch sein Hupen den Busfahrer auf den Diebstahl aufmerksam gemacht hat und dann direkt weggefahren ist, was gesehen hat, gibt es keine Zeugen. Einfach weg! Und was das auch an materiellem Wert ist. Der PC war neu, hatte ich ja erst im Juli gekauft. Die Festplatte kostet 100 Euro. Und die Ladegeräte, die wir jetzt nachkaufen müssen, kosten auch so um die 25 Euro. Und unsere Luftmatratze war auch da drin, deswegen müssen wir jetzt zu zweit in einem 90cm-Bett schlafen. Naja, so langsam haben wir uns auch dran gewöhnt.
Naja und dann kam das Erdbeben. Sowas krasses hab ich noch nicht erlebt. Hatte ein bisschen Angst, als ich davon geweckt wurde, aber viel schlimmer war der Schock. Ich konnte es gar nicht fassen, was um mich passiert. Ein ohrenbetäubender Lärm und alles bewegte sich. Ich konnte mich nicht auf den Beinen halten, wurde hin und her geschüttelt. Hab mich an Marco festgekrallt, aber wäre fast umgefallen. Meine Beine haben gezittert wie noch nie, ich konnte nicht mehr. So standen wir unter dem Türrahmen und haben gewartet, bis es vorbei geht. Es war schrecklich, wir wussten nicht, wohin wir fliehen konnten, wo wir in Sicherheit sein konnten. Alles war ein einziges, sich bewegendes Chaos. Naja, es hat nur 2 Minuten gedauert und dann war es still. Der Strom war natürlich ausgefallen und es war stockdunkel. Erstmal haben wir uns dran gemacht, Wasser zu horten in der Badewanne und in grossen Töpfen und auch das Gas abzustellen. Dann haben wir Kerzen gesucht und konnten so ein bisschen was sehen. Das Bild, was sich uns bot, war schrecklich: Die Fernseher waren auf den Boden gefallen, alle Blumenvasen umgekippt und zerbrochen, die Möbel um einen halben Meter verschoben. Ein Gläserschrank war durchgebrochen und die Gläser und das Geschirr lagen verstreut im Raum herum. Im Baden flogen die diversen Shampooflaschen, Bürsten, Zahnpasten und Parfums auf dem Boden rum. Man konnte nirgendwo laufen, weil alles bedeckt von Scherben war. Das Aquarium lag kaputt auf dem Boden und die Fische keuchend auf dem Teppich. Javiera hat sie gerettet. Aber ohne Pumpe sind sie schnell schwach geworden und jetzt sind sie im Fische-Himmel.
Dann sind wir erstmal nach draussen vor die Tür gegangen. Da haben wir gesehen, dass die Mauer von gegenüber umgekippt ist. Die Leute von gegenüber sind mit Matratzen und Decken aus ihrem Haus gegangen und haben sich auf der Plaza niedergelassen. Der Bürgermeister kam und hat sich das Haus angeschaut und es als unbewohnbar deklariert. Nach und nach kamen Polizei und Feuerwehr vorbei. Uns hats wohl recht gut erwischt, aber ein paar Strassen weiter gibt es einige Häuser, die in einem viel schlechteren Zustand sind und bestimmt total eingebrochen sind. Es kamen die Verwandten vorbei, die auch hier wohnen, um nach dem Rechten zu sehen, aber es geht allen gut. Marcos Onkel arbeitet normalweise in der Kupfermine, aber an dem Tag hatte er gottseidank frei. Und Marcos Stiefvater arbeitet in Concepción, der Stadt, wo das Epizentrum ist. Aber er hat diese Woche auch frei. Was sind wir erleichtert. Weiterhin sind wir vor der Haustür und sehen die Autos, die vorbeirasen, um schnell zu ihrer Familie zu kommen. Einige spritzen uns nass, denn der Kanal, der von den Bergen kommt, ist aus den Fugen geraten und ein Teil der Strasse steht unter Wasser. Das fliesst aber schnell ab und nach einer Stunde kommt auch nichts mehr nach. Uns gehts allen gut und wir sind alle zusammen. Das Telefon funktioniert auch und die Familie ruft die wichtigsten Verwandten an. Als ich nach Deutschland telefonieren will, geht aber gar nichts mehr. Handys haben keinen Empfang und selbst das Satelliten-Internet funktioniert nicht. Wir hören Radio mit meinem Handy und kriegen so mit, dass das Epizentrum gar nicht direkt hier ist, wie wir gedacht haben, sondern 500 km entfernt. So stark, wie wir es gespürt haben, dachten wir, es wäre hier. Mit 8,5 ist es das zweitschlimmste Erdbeben in der Geschichte von Chile. Da erst fangen wir an, uns Sorgen zu machen um die Leute, die dort sind und so langsam hören wir von den Todesopfern. Angefangen hat es mit 6. Die Präsidentin war 20 Minuten nach dem Beben im Radio zu hören und hat die Bevölkerung zur Ruhe gerufen und das Gebiet und die Hälfte von Chile als Katastrophengebiet deklariert. Nach und nach bekommen wir mit, dass auch Santiago betroffen ist, dass dort Brücken eingestürzt sind und Autos darunter begraben wurden. Bis es hell wird, hören wir weiter Radio, aber dann werde ich so müde, dass ich ins Bett gehe. Grade, als ich am einschlafen war, kam ein Nachbeben und ich war blitzartig auf den Beinen und unter dem Türrahmen. So schlimm wars dann doch nicht und ich konnte ein paar Stunden schlafen. Geweckt wurde ich so um 12 von einem weiteren Nachbeben. Die anderen waren schon wach und dabei, die umgefallene Mauer im Garten wegzuräumen und die Scherben im Haus zusammenzukehren. Javiera hat Brot (ohne Hefe) im Ofen gemacht, weil natürlich alle Läden zu hatten. Und gut, dass die Öfen hier in Chile mit Gas funktionieren. Die Wasserversorgung war auch wieder in Takt und ich konnte duschen. Zum Mittagessen haben wir die Rest vom Vortag gegessen und haben den Rest des Nachmittags mit Aufräumen und Radio hören verbracht. Nachmittags hat der Supermarkt aufgemacht, er war total überfüllt und auf dem Boden befand sich eine Sauce aus Spülmittel, Waschmittel und Flüssigseife. Brot gab es keines (die industriellen Öfen sind elektrisch) und das Mehl und die Hefe waren ausverkauft. Wir konnte grade noch die letzten 3 Kilo "Mehl mit Trockenhefe-Mischung" ergreifen. Ansonsten haben die Leute Getränke und Kerzen gekauft. Batterien für Radio odr Taschenlampen waren schon längst ausverkauft, als wir eine halbe Stunde nach der öffnung kamen. Als wir durch die Stadt gelaufen sind, haben wir gesehen, dass es andere viel schlimmer getroffen hat als uns. Wir haben zwar kein komplett eingestürztes Gebäude gesehen, aber einige Häuser waren in einem sehr schlechtem Zustand.
Abends sassen wir im Kerzenlicht zusammen, Tomas hat Gitarre gespielt und gesungen und wir haben geredet. Was anderes bleibt einem auch nicht übrig, als zusammen zu halten und gemeinsam auszuhalten.
Heute gab es wieder Zeitung zu kaufen und da hab ich erst gesehen, dass es eine wahre Katastrophe ist und dass wirklich die Hälfte von Chile betroffen ist. Zwar nicht überall mit Todesopfern, aber mir ordentlichen Schäden. In Valdivia ist ein Teil der Hafenpromenade eingestürzt, aber sonst wurde niemand verletzt. Dort sind auch die Supermärkte geöffnet und es gibt Strom (habe ich jetzt über Internet erfahren).
Die Uni fängt erst eine Woche später an, also erst am 15. Wie und ob wir in den Süden kommen, wissen wir noch nicht. Im Moment fahren wohl keine Busse, aber wahrscheinlich normalisiert sich das im Laufe der woche.
Das schwierigste ist, dass man nichts mitkriegt, dass es keine Telekommunikation gibt. Handy und Telefon funktionieren, wenn überhaupt, nur sporadisch. Obwohl der Strom seit 2 oder 3 Stunden wieder da ist, kommt das Fernsehsignal nicht an. Wir wissen also überhaupt nicht, was los ist und wie es aussieht.
Abgesehen davon geht es uns gut, ich bin entspannt und nutze die Zeit zum Lesen oder Tagebuch schreiben. Und heute haben wir "unser" Zimmer aufgeräumt, alles in die Koffer geräumt und geputzt. Das war vielleicht ein Drama in der Erdbeben-Nacht: Klamotten und Schuhe zu finden. Und mit der Nervosität des Schocks hab ich bestimmt 2 Minuten gebraucht.
Naja, das zur Information. Und: Nicht alles, was die Medien verbreiten, stimmt auch so.
PS: Fotos gibts fürs erste nicht mehr, weil Kabel und Ladegerät geklaut sind.
1 Kommentar:
Gott sei Dank,dass euch und MArcos Familie erstmal nix passiert ist. Die Berichterstattung bereitete mir große Sorgen, bes. am Samstag. Hoffe nur, daß sich die Zustände bald normalisieren und ihr wieder einkaufen könnt.Bei Conception und and er Küste herrschr Kriegszustand, es gibt Plünderungen und die Menschen hungern.
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